Zeitungsstapel vor hellem Hintergrund

Kinderschutz: Das Frühwarnsystem im Kreis Bergstraße greift


Kreis Bergstraße (kb). Jedes Kind hat das Recht, sicher und gesund aufzuwachsen. Kommen Eltern dieser Verantwortung nicht nach und wird dadurch das körperliche, seelische oder geistige Wohl ihrer Kinder gefährdet, spricht man von Kindeswohlgefährdung. Gefährdungen des Kindeswohls äußern sich in Vernachlässigungen, körperlichen oder psychischen Misshandlungen oder in sexualisierter Gewalt. Manchmal erleben Kinder solche Gewalt oder Vernachlässigung in ihrer Familie. „In solchen Situationen brauchen die jungen Menschen jemanden, der ihre Rechte wahrt und sie wirksam schützt – aber auch Eltern brauchen Hilfe, damit sie wieder verantwortlich für ihre Kinder sorgen können. Beides leisten die Jugendämter. Sie sind die zentrale Stelle, bei denen alle Verdachtsfälle auf Gefährdungssituationen gemeldet und überprüft werden“, erklärt der hauptamtliche Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf.

Nach einem leichten Rückgang im Jahr 2021 hat die Zahl der Gefährdungsmeldungen in Deutschland 2022 einen neuen Höchststand erreicht. Es wurden bundesweit 62.300 Fälle gemeldet, das entspricht einer Zunahme von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Der Bundestrend gilt aber nicht für unseren Landkreis. Die Anzahl der Gefährdungsmeldungen blieb 2022 gegenüber 2021 nahezu unverändert“, sagt Kai Kuhnert, Leiter des Bergsträßer Jugendamtes. Im Jahre 2022 erreichten das Jugendamt 495 Meldungen mit dem Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, im Vorjahr waren es 500. Jede Meldung, die beim Jugendamt eingeht, löst ein abgestimmtes Verfahren aus. Zunächst wird eine Gefährdungseinschätzung vorgenommen und die mitgeteilten Gefährdungsinhalte auf ihr Gefahrenpotenzial hin überprüft. Je nach Ergebnis dieser Gefährdungseinschätzung, die immer mit mindestens zwei Fachkräften durchgeführt wird, erfolgt entweder die sofortige Inaugenscheinnahme der Kinder und Jugendlichen im Rahmen eines unangemeldeten Hausbesuches oder eine Vorstellung in der Gewaltschutzambulanz bei körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch. Gegebenenfalls kann auch eine Inobhutnahme oder die Implementierung von Hilfen zur Erziehung in der Familie erfolgen. „Grundsätzlich wird sich in allen Fällen ein Bild von der Situation gemacht, um festzustellen, ob eine Gefährdung oder ein Hilfebedarf vorliegt und somit ein Handeln des Jugendamtes nötig ist“, so Kai Kuhnert.

Im Vergleich zum Bund und zum Land Hessen gab es im Kreis Bergstraße im Jahr 2022 einen weitaus geringeren Anteil an Kinderschutzfällen, also Fälle bei denen Kinder nachweislich einer Kindeswohlgefährdung durch psychischen und physischen Übergriffen, sexuellen Missbrauch, oder Vernachlässigung ausgesetzt waren. Während in Deutschland in 30 Prozent aller Meldungen eine Gefährdung identifiziert wurde, waren im Kreis Bergstraße knapp elf Prozent (53 Fälle) der gemeldeten jungen Menschen einer Gefährdung ausgesetzt. Das Jugendamt konnte hier direkt eingreifen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

In der Regel und solange der wirksame Schutz der Kinder nicht gefährdet wird, sind die Eltern immer an der Gefährdungseinschätzung zu beteiligen, um so gemeinsam nach Wegen zu suchen, die aktuelle oder eine künftige Gefährdung der Kinder auszuschließen. Sind die Eltern mitwirkungsbereit, wird gemeinsam nach tragfähigen Lösungen zum Schutz der Kinder gesucht. Sind die Eltern dazu nicht bereit, kommen auch Maßnahmen wie eine Inobhutnahme oder die Anrufung des Familiengerichtes in Betracht.

Die Einschätzung „keine Kindeswohlgefährdung, aber Hilfe und Unterstützungsbedarf“ variierte zwischen Bundes- (33,8 Prozent), Landes- (31,2 Prozent) und Kreisebene (31,7 Prozent) wenig. Der größte Unterschied zwischen dem Kreis Bergstraße, dem Land Hessen und dem Deutschlandtrend zeigt sich dagegen bei Meldungen, in denen die Fachkräfte des Jugendamtes einschätzten, dass weder das Kindeswohl in Gefahr war, noch ein weiterer Hilfebedarf bestand. Im Kreis traf diese Einschätzung in rund 58 Prozent der Meldungen zu, auf Bundes- und Landesebene lag dieser Anteil bei 36 Prozent, beziehungswiese bei 35 Prozent. „Das sind für uns keine Falschmeldungen, sondern ein Indiz für die steigende Aufmerksamkeit unserer Kooperationspartner sowie der Öffentlichkeit. Wir warten nicht ab, sondern setzen auf die frühe Wahrnehmung von Warnsignalen. Nicht von ungefähr kamen im Jahr 2022 fast 61 Prozent der Meldungen von der Polizei, von Schulen und Kitas, dem Gesundheitssystem oder anderen Beteiligten im ‚Sozialen Frühwarnsystem‘“, betont Kuhnert. Der Anteil der genannten Institutionen liegt damit deutlich höher als der der Privatpersonen (39 Prozent), die Anzeichen einer Kindswohlgefährdung vermuteten und meldeten.

„Es gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben, Kinder und Jugendliche vor jeglicher Vernachlässigung sowie körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt zu schützen. Unsere Zahlen gehen nach der Pandemie nicht wie andernorts durch die Decke. Das ist ein Beleg dafür, dass unsere Maßnahmen Wirkung zeigen. Durch schnelles und präzises Eingreifen und stetiger Weiterentwicklung im Jugendamt, zum Beispiel mit unserem Kinderschutzteam im Allgemeinen Sozialen Dienst, können Gefahren frühzeitig erkannt und so von jungen Menschen abgewendet werden“, betont der hauptamtliche Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf. Für das Frühwarnsystem im Landkreis arbeiten Kindertagesstätten, Schulen, Ärzte, Kliniken, Vereine, Freizeitangebote und viele andere mehr in einem breit angelegten Netzwerk zusammen. Zusätzlich hilft die Sensibilisierung von Privatpersonen wie zum Beispiel Nachbarn, Bekannten und Verwandten, Gefährdungen zu erkennen. „Vielen Dank an alle, die hinschauen und nicht wegsehen, wenn Kinder in Not sind“, so Schimpf.